Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die Blätter tatsächlich
eine zusammengehörige Gruppe darstellen. Alle samt sind zeichnerische Gemäldekopien,
die aufgrund ihrer technischen Ausführung, diese Funktion auch deutlich zeigen.
Als charakteristische Merkmale sind eine starke Betonung der Konturlinien und
eine oft rudimentäre Binnenzeichnung zu benennen. Das Bemühen um die deutliche
Wiedergabe der Umrißlinien führt zu einer spröden Vortragsweise, in welcher
der Künstler die Linien nur durch wiederholtes Ansetzen zu Ende führt. Auffallend
sind die kantigen Übergänge an diesen Stellen.
Schraffen setzt der Künstler in keinem der hier gezeigten Beispiele an einer
der Vorlage entsprechenden dunklen Partien, ein, sondern nutzt diese, um eine
bestimmte Beleuchtungssituation wiederzugeben. Beispielhaft ist hierfür das
"Bildnis einer Frau mit Tochter" nach Anton van Dyck zu nennen. Durch die Schraffur
wird selten ein wirklich räumlicher Eindruck vermittelt und den Figuren fehlt
es generell an Volumina. Neben der Ausarbeitung der Umrißlinien, die teilweise
mehrfach nachgezogen werden, erscheint alles andere weniger bedeutsam. Jürgen
Ovens interessiert sich mitunter ausschließlich für die Komposition seiner Vorbilder.
Generell fällt der Kontrast zwischen unterschiedlich stark ausgearbeiteten Partien
auf. Während den Gesichtern noch als Ausdrucksträgern besondere Bedeutung zukommt,
wird die Darstellung der Hände von Jürgen Ovens vernachlässigt. Die vermeintlichen
Mängel ließen sich jedoch nicht als solche aufrecht erhalten. Die einzelnen
Teile der Komposition werden verschiedenartig bewertet und dementsprechend mehr
oder weniger genau zeichnerisch erfaßt. Dabei benutzt der Künstler die auf ein
Fingerschema reduzierte Hand als Stellvertreter.
Nachzeichnungen werden vom Künstler durch eine einfassende Tuschelinie abgeschlossen,
die als Rahmen, um den Bildausschnitt gelegt wird. Durch das Einfassen der Szene,
ergeben sich weitere Angaben zu dem begrenzten Raum. Der Künstler legt das Größenverhältnis
der Figuren zur Gesamtkomposition fest. In der Zeichnung der "Heiligen Familie
mit Johannesknaben" nach Sebastiano del Piombo erweitert er den Rahmen, um die
Figuren nicht mehr durch den Rand zu überschneiden, wie es bspw. alle bekannten
Gemäldekopien zeigen. Jürgen Ovens nutzt den gewonnenen Raum dazu, die Figuren
zu ergänzen, und in ihrer Körperhaltung zu modifizieren. Diese Veränderungen
zeugen von einem kreativen Umgang mit den Vorbildern und leiten über von der
Form der Zeichnung hin zu deren Funktion.
Es ist zu beobachten, daß der Künstler immer dann von den zu kopierenden Gemälden
abweicht, wenn sich für ihn schlüssige Beziehungen der Figuren untereinander
ergeben. Jürgen Ovens stellt in der "Heiligen Familie mit Johannesknaben" einen
Blickkontakt zwischen Johannes und Joseph her und der Knabe wendet sich darüberhinaus
mit einer sprechenden Geste an sein Gegenüber. Noch auffälliger sind die Veränderungen
im "Marientod" nach Caravaggio. Jürgen Ovens nimmt einzelne Figuren heraus und
plaziert mehrere Gruppen neu, um die Gesamtkompostion stärker zwischen den herabfallenden
Rückenlinien, der beiden jeweils an den Rändern stehenden Apostel stärker zu
konzentrieren. Die hohe Wertschätzung der Vorbilder, die sich bereits aus dem
Akt des Kopierens ergibt, bestätigt durch die Aussagen der angefügten Aufschriften,
hält Jürgen Ovens nicht davon ab, gewissermaßen freimütig derartige ‘Verbesserungen‘
vorzunehmen.
Die angefügten Aufschriften bestätigten abermals die Ergebnisse der technischen
Ausführung, daß die Zeichnungen eindeutig als Kopien gearbeitet wurden. Jürgen
Ovens benennt selbst die Vorbilder seiner Nachzeichnungen von Anton van Dyck
("V. Deijck", "A: V. D.") und Sebastiano del Piombo ("SeB: del: Piombo") und
deren Zugehörigkeit zu bestimmten Sammlungen ("bij mijn Heer Leers tot Antwerpen",
"by Six", "bij Henrico. Scolten"), in denen er die Werke studierte.
Bedeutsamer sind jedoch die Beschreibungen mit denen Jürgen Ovens die Gemälde
charakterisiert und mittelbar auch etwas über seine Auswahlkriterien mitteilt.
Ein Vergleich der Texte vom "Bildnis einer Frau mit Tochter", dem "Heiligen
Sebastian" und der "Heiligen Familie mit Johannesknaben" zeigt, daß bestimmte
Begriffe genannt werden. Der Künstler spricht von der Kraft der Zeichnung ("Eene
ovueruijt groete cracht van uijtekening, ...", "krachtig"), der Kolorierung
("wel gecolorert", "it int geheel wat blauwaftig gkoloreert is") und der Verteilung
von Licht und Schatten ("toondes d. schaduweties snell in hünne plas doch milde
/dad si hun verbliven nehmen").
Da wir trotz umfangreicher Quellen zur Biographie von Jürgen Ovens letztlich
nichts über dessen Ausbildung wissen, sind die Zeichnungen auch unter Berücksichtigung
dieses Problems von Bedeutung. Interessen und Vorlieben des Künstlers sind darin
ebenso, wie in seiner Sammlung, zum Ausdruck gekommen.
"... er (hat) nach Gemälden
von Van Dijck und Rubens gezeichnet weil er sie,
wie er bemerkt sehr hoch schätzte, er hat van Dijcksche und Rubenssche Gemälde kopiert, er hat auch Originale dieser beiden Maler besessen. Ovens stand, ..., offenbar den grossen Vlamen innerlich und äusserlich näher als Rembrandt." |
(-SCHMIDT 1917, S. 81)