Im folgenden werden acht Zeichnungen von Jürgen Ovens vorgestellt, die den Gemälden
anderer Künstler folgen und demnach als zeichnerische Kopien bezeichnet werden.
Die vorgestellte Gruppe wird aufgrund bestimmter technischer Merkmale zusammengefaßt
und läßt sich gegenüber dem übrigen Oeuvre deutlich abgrenzen. Es handelt sich
dabei um Federzeichnungen, die über eine Vorstudie in Kohle oder Graphit [114]
gearbeitet wurden. Zwar entspricht die Verwendung von Feder und Tusche
der von Jürgen Ovens bevorzugten Technik, jedoch ist die Arbeitsweise, diese
über eine angelegte Vorstudie auszuführen, bedeutend seltener.
Auffallend ist die gründliche Ausarbeitung der Unterzeichnung, so daß auf allen
Blättern praktisch zwei Ausführungen unterschiedlichen Zeichenmaterials übereinander
liegen. Der Zeichenträger, ein leicht getöntes Papier, stellt im Vergleich zu
dem üblicherweise von Jürgen Ovens verwendeten Material keine Besonderheit dar. [115]
Weitere Gemeinsamkeiten beziehen sich auf die Arbeitstechnik, die Anlage
von Kontur, Binnenzeichnung und Schraffen, die in den Beschreibungen zu den
einzelnen Blättern detailiert erörtert werden. Es fällt auf, daß der Künstler
immer eine einfassende Linie um die fertige Zeichnung zieht, um den Bildausschnitt
festzulegen. Dadurch entsteht des weiteren ein Bezugssystem, aus dem sich Angaben
zum Verhältnis zwischen den Figuren und der Gesamtkomposition ableiten lassen.
Außerhalb dieses Rasters sind vielleicht zwei weitere Graphiken zu der Gruppe
der zeichnerischen Gemäldekopien zu zählen, die indessen aufgrund ihrer technischen
Bearbeitungen jeweils ein Unikum im Oeuvre des Künstlers darstellen. Zum einen
ist die in Rötel gezeichnete Detailkopie, "Christus als Fürsprecher" (Abb. 1)
aus der größeren Komposition der "Erweckung des Lazerus" einer Radierung von
Jan Lievens [116]
und zum anderen eine stark lavierte Federzeichnung eines "Gruppenportraits"
[117]
(Abb. 2) zu nennen. Ihre Zuordnung ist weitgehend problematisch bishin zur Zuschreibung
an Jürgen Ovens und wird deshalb im folgenden ausgeklammert.
" Bildnis einer Frau mit Tochter " | ||
Titel: |
" Bildnis einer Frau mit Tochter " [118] |
|
Vorlage: |
Anton van Dyck, " Bildnis der Anna van Thielen mit Tochter " [119] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier, Unterzeichnung in Kohle |
|
Format: |
17,6 x 12,7 cm |
|
Datierung: |
1657-1663 [120] |
|
Sammlung: |
Hamburg, Kupferstichkabinett der Kunsthalle Hamburg, Inv.-Nr. 22327 [121] |
|
Aufschrift: |
eigenhändig, mit Feder in brauner Tusche |
Bildbeschreibung
Die Federzeichnung (Abb. 3) zeigt eine junge Frau gemeinsam mit ihrem
Kind in einem nicht näher bestimmten Innenraum. Sie sitzt auf einem Armlehnstuhl,
der ein wenig schräg gestellt und damit in das Bild hinein gedreht ist. Sie
hat sich leicht zurück gelehnt, hält ihren Kopf zur Seite geneigt und schaut
dem Betrachter aus dem Bild heraus entgegen. Beide Arme lagert sie auf den Lehnen.
Während die linke Hand vor den Körper geführt in ihrem Schoß ruht, greift ihre
rechte Hand über die Lehne hinweg.
Das Mädchen steht eng auf diese bezogen zur rechten Seite der Frau und schmiegt
sich an deren Körper. Ihren rechten Arm hat das Mädchen auf den Unterarm der
Mutter gelegt, den Kopf wie diese leicht geneigt und ihren Blick auf ein Ziel
außerhalb des Bildes gerichtet. Auffallend ist die reiche Kleidung beider Figuren,
bestehend aus mehreren Teilen, die trotz fehlender Farbigkeit unterschiedliche
Stoffe anschaulich machen. Die Frau trägt ein Kleid mit gebauschten Ärmeln
und darunter ein Hemd, das an den Ärmeln und am Hals hervortritt. Auf den
Schultern ruht ein Kragen, und der Oberkörper wird von einem reich gestalteten
Mieder gehalten, das durch eine unregelmäßige Binnenzeichnung angedeutet wird.
Vergleich der Zeichnung mit dem Vorbild
Ein Vergleich zwischen der Zeichnung von Jürgen Ovens und dem Gemälde von Anton
van Dyck, dessen "Bildnis der Anna van Thielen mit Tochter" (Abb. 4) als Vorlage
diente, zeigt vor allem Unterschiede in der Körperhaltung der Personen und der
damit verbundenen Körpersprache. Das Gemälde zeigt die portraitierte Anna van
Thielen in betont aufrechter Haltung. Sie hat sich von der Rückenlehne gelöst
und ist leicht nach vorn zur Stuhlkante gerückt. Dabei nimmt sie auf dem Stuhl
eine leicht schräge Position ein, so daß sie mit ihrem ganzen Körper zur Bildmitte
rückt. Der in der Zeichnung auf der Stuhllehne ruhende Arm erscheint im Gemälde
vor den Körper geführt und wird zum Teil von der Lehne überschnitten. Ein weiterer
Unterschied zeigt sich in der Gestik zwischen beiden Personen. Während bei Anton
van Dyck das Mädchen den Arm der Mutter umfaßt, läßt Jürgen Ovens den Arm des
Kindes auf dem der Mutter ruhen.
Trotz der deutlichen Differenzen ist es unwahrscheinlich, daß Jürgen Ovens durch
seine Veränderungen in der Komposition, der Haltung der Figuren und den Gesten
eine anders akzentuierte Bildaussage erreichen wollte. Denn zum einen sind die
Modifikationen nur von mäßiger Bedeutung, so daß die enge Beziehung beider Figuren
zueinander unverändert bleibt, und zum anderen hat Jürgen Ovens seine uneingeschränkte
Wertschätzung für das Gemälde in der eigenhändigen Aufschrift überliefert, indem
er es als "dat fraijste van V. Deijck"
[122] bezeichnete. Überzeugend hat Anton van Dyck die innige
Geste zwischen Mutter und Tochter durch das Umfassen des Armes dargestellt.
Es fällt demnach schwer zu begründen, warum der Kopist bewußt einige Veränderungen
vorgenommen haben soll, die im Vergleich zu dem Vorbild um so vieles schwächer
erscheinen. Eine bewußte Abkehr von der Vorlage, indem der Künstler die Darstellung
variiert oder in Anbetracht des Originals, verunklärt, ist eher unwahrscheinlich.
Demgegenüber ist anzunehmen, daß die Kohlezeichnung zwar vor dem Gemälde entstanden
ist, deren Überarbeitung mit der Feder jedoch erst mit einem zeitlichen Abstand
erfolgte. Dem Künstler wäre es demnach nicht mehr möglich gewesen auch die Federzeichnung
mit dem Gemälde abzugleichen. Somit lassen sich die Veränderungen schlicht als
zeichnerische Ungenauigkeiten deuten.
Zeichentechnik
Das Blatt ist auf allen Seiten beschnitten, so daß einzelne Tuschlinien nicht
mehr zur Gänze ausgezogen sind. Der heutige Rand überschneidet sowohl die rahmende
Einfassung der Zeichnung als auch an mehreren Stellen die beigefügte Aufschrift.
[123] Die Unterzeichnung in Kohle ist entlang der Tuschelinien zu verfolgen
oder erscheint ohne eine spätere Überarbeitung, wie die senkrecht verlaufenden
Linien im Hintergrund belegen. Besonders deutlich zeigt sich die Kohlezeichnung
in den Gesichtspartien und den Gewändern beider Personen und ist dort nicht
allein längs der Konturlinien, sondern auch als Teil der Binnenzeichnung auszumachen.
Ein sehr breiter und zum Teil flächig angelegter Kohlestrich findet sich darüber
hinaus an der Rückenlehne des Sessels.
Die Federzeichnung gibt in schnell und schwungvoll gezogenen Linien die Konturen
der Personen wieder. Feinere Striche zeichnen die Wiedergabe der Gesichter und
einzelne Teile des Kostüms aus, ohne daß dadurch eine detailgetreue Abbildung
erreicht würde. Im Vordergrund werden die Falten des Gewandes lediglich angedeutet.
Eine lebhafte Schilderung der Binnengliederung wird durch den breit angelegten
Einsatz von der Form folgenden Schraffen erreicht. Kurze, parallel geführte
Schraffen finden sich in den Gesichtern und in dem Gewand der Frau wieder. Häufig
werden die Linien auch über bereits bestehende Schattierungen hinweg gezogen,
um Abstufungen im Hell-Dunkel-Kontrast zu erreichen. Die Schraffen werden sowohl
entlang der Konturlinien geführt, als auch über diese hinaus gearbeitet. Neben
den kurzen Strichen, die durch wiederholtes Ansetzen der Feder nebeneinander
gelegt werden, erscheint die Schraffur u. a. im linken Ärmel und in der
Rückenlehne als eine wellenlinig ausgezogene Tuschelinie. Die teilweise grobe
Federführung deutet auch die Verteilung von Licht und Schatten an. Gegenüber
dem Gesicht der Frau, welches dem Licht zugewandt ist, erscheinen Hals, Hinterkopf
und Schulterpartie verschattet.
Trotz der zeichnerischen Ungenauigkeiten, die der Vergleich zwischen Vorbild
und Kopie deutlich werden läßt und eines teilweise lapidaren Federstrichs, gelingt
es Jürgen Ovens die wesentlichen Merkmale des Gemäldes wiederzugeben. Durch
die Betonung der Konturlinien wird die Anordnung der Figuren im Raum und deren
Beziehung zueinander verdeutlicht.
Bildaufschrift
Unterhalb der Zeichnung hat Jürgen Ovens eigenhändig einen Text in niederländischer
Sprache angebracht:
"bij mijn Heer Leers tot Antwerpen dit in Schilderij
/
gesien is dat fraijste van V. Deijck dat ie
[124] gesien /
hebbe na dat het gracelick geteickent,
wel gecolorert en loss in affecten waergenoemen /
toondes d. schaduweties snell in hünne plas /
doch milde. dad si hun verbliven nehmen."
[125]
"Bei Herrn Leers(e)
[126] zu Antwerpen ist ein Gemälde,
das ich gesehen habe, welches das Schönste
[127] von Van Dyck ist, das ich gesehen habe,
habe es danach schwungvoll
[128] gezeichnet,
wohl koloriert und lose /flüchtig
[129] in seinen Affekten wahrgenommen,
es zeigt die kleinen Schatten
[130] an ihrem rechten Platz
[131],
doch milde, daß sie ihr Verbleiben
[132] nehmen."
[133]
Jürgen Ovens berichtet, daß er seine Zeichnung nach einem Gemälde
von Anton van Dyck in der Sammlung des Herrn (Sebastian) Leerse, gezeichnet
habe. Er äußert seine Wertschätzung gegenüber dem Gemälde, nennt es "dat fraijste
van V. Deijck" , das er kenne, und begründet sein Urteil mit zwei Anmerkungen
zur Maltechnik. Zum einen erwähnt er die Farbigkeit und nennt das Gemälde wohl
koloriert ("wel gecolorert"). Zum anderen spricht er bei der Anlage der Schattierungen
von den kleinen Schatten ("schaduweties"), die an den ihnen gemäßen Stellen
auftreten ("in hünne plas"). Sie seien "milde" in ihrer Erscheinung, so daß
sie nicht nur in den richtigen Partien auftreten, sondern auch in gebührendem
Maße abgestuft sind ("dad si hun verbliven nehmen"). Durch die Übertragung des
Gemäldes in eine Federzeichnung fallen Farbangaben fort oder sind auf Hell-Dunkel-Werte
reduziert. Dennoch erwähnt Jürgen Ovens in seiner Aufschrift ausdrücklich das
Kolorit und bereichert damit die Angaben über das Gemälde. Die Farbigkeit wird
als eines der Kriterien genannt, die neben der Verteilung von Licht und Schatten
die Qualität des Gemäldes bestimmen, die Jürgen Ovens ausdrücklich hervorhebt.
" Beweinung Christi " | ||
Titel: |
" Beweinung Christi " [134] |
|
Vorlage: |
Anton van Dyck, " Beweinung Christi " [135] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier |
|
Format: |
25,4 x 14,1 cm [136] |
|
Datierung: |
1654-1657 [137] |
|
Sammlung: |
Kopenhagen, Statens Museum for Kunst Den Kgl. Kobberstiksamling, (o. Inv.-Nr.) |
|
Aufschrift: |
eigenhändig, mit Feder in brauner Tusche |
Bildbeschreibung
Die "Beweinung Christi" (Abb. 5) zeigt den Leichnam des Sohnes Gottes in den
Armen seiner Mutter, die ihn stützend ergriffen hat, begleitet von Maria Magdalena.
Christus wirkt trotz des aufgerichteten Oberkörpers leblos. Die Beine sind angewinkelt
und leicht nach hinten abgeknickt, der rechte Arm hängt herunter, und das Haupt
ruht auf der Schulter. Lediglich das Lendentuch bedeckt seine Blöße, und deutlich
sind an seinem nackten Körper die Wundmale an Händen, Füßen und in der Seite
markiert. Weitgehend wird der Corpus Christi von einem Tuch hinterfangen, das
die hinter ihm stehende Maria hält. Ein in bauschige Falten gelegtes Stoffende
ruht auf ihrem rechten Unterarm und reicht hinauf bis zu ihrer Schulter. Darunter
hindurch hat sie Christus in der rechten Achsel ergriffen. Mit der anderen Hand
hält sie den rechten Arm ihres Sohnes empor, der, in der Armbeuge durchhängend,
zum wiederholten Mal die Kraftlosigkeit des Körpers demonstriert. Es erscheint
so, als habe Maria den Arm auf Höhe des Handgelenkes erfaßt, um dem Betrachter
das Wundmal auf dem Handrücken zu präsentieren. Maria berührt den Leichnam Christi
mit bloßen Händen, während die Figuren ansonsten durch das Tuch getrennt sind.
Vor Christus und Maria kniet die in Rückenansicht gezeigte Maria Magdalena,
die beide Arme ausgestreckt emporhebt. Es ist nicht eindeutig zu erkennen, ob
es ihr dabei möglich ist, Christus zu berühren. Im Hintergrund sind erhöht drei
leere Kreuze zu erkennen. Mehrere Wolken werden von Lichtstrahlen durchbrochen
und geben der Szene damit eine düstere und zugleich dramatische Erscheinung.
Zur Rechten Christi wird in weiterer Entfernung eine Figur angedeutet, die in
einem Trauergestus verharrt.
Vergleich der Zeichnung mit dem Vorbild
Als wahrscheinliches Vorbild, das der Zeichnung von Jürgen Ovens zugrunde liegt,
benennt Werner Sumowski das Gemälde der "Beweinung Christ" (Antwerpen) von Anton
van Dyck (Abb. 6).
[138] Dieses Gemälde ist uns in mehreren Fassungen überliefert, von der
mindestens eine weitere als eigenhändig gilt.
[139] Im folgenden wird von der Antwerpener Fassung, die nachweislich seit
ihrer Entstehung in der Stadt verblieben ist,
[140] als Vergleichsbeispiel gesprochen. Jürgen Ovens, der Antwerpen wohl
zwischen 1656-1663 besuchte, wie es die Aufschrift auf einer weiteren Zeichnung
nach Anton van Dyck belegt,
[141] könnte diese Fassung tatsächlich gesehen haben.
Gemeinsam ist der Zeichnung und dem Gemälde die Figurengruppe, bestehend aus
Maria, Christus und Maria Magdalena. Auf ähnliche Weise werden der muskulöse
Christustyp in seiner entblößten Darstellung, das deutliche Präsentieren der
Wundmale und das Hinterfangen der Figur durch ein ausgebreitetes Tuch gestaltet.
Den entscheidenden Unterschied zeigt letztlich die Haltung Christi, aus der
sich fast alle anderen Veränderungen ableiten lassen. Im Gemälde ist Christus
auf erhöhtem Untergrund gelagert, Maria steht hinter ihm und stützt leicht dessen
Oberkörper. Sein Kopf ist gegen ihre Brust gelegt. Demgegenüber ist die Haltung
in der Zeichnung verunklärt. Es überzeugt nicht, daß Maria Christus nicht mehr
allein stützt, sondern vollends hält. Aus dieser Veränderung ergibt sich jedoch,
daß Christus stärker aufgerichtet wird und sein Körper eine senkrechte Achse
der Zeichnung bildet. Insgesamt zeigt die Anlage eine stärkere Konzentration
der Gruppe, deren Figuren enger zusammenrücken. Die Christus überragende Maria
neigt ihr Haupt und wendet sich direkt an ihren Sohn. Gemeinsam weisen die Figuren
einen deutlichen Zug in die Höhe auf.
Als Bilderfindung von Jürgen Ovens, hebt Maria den Arm ihres Sohnes empor, der
in den Raum hinein ausgreift. Darüber hinaus entwickelt sich die Geste der knienden
Maria Magdalena, die mit ausgestreckten Armen versucht, Christus zu berühren.
In dem Gemälde hockt Maria Magdalena vor Christus, stützt dessen Hand durch
leichtes Berühren der Finger und küßt das Wundmal auf dessen Handrücken. Der
ausgestreckte Arm des Gemarterten ruht dabei auf dem Oberschenkel der Maria.
Der heraneilende Johannes fehlt gänzlich in der Zeichnung oder wird nur noch
als trauernde Figur im Hintergrund angedeutet. Weitere Veränderungen weist der
Hintergrund auf, der die Figurengruppe im Gemälde durch einen gewaltigen Felsen
hinterfängt und einen sehr hoch angelegten Ausblick in die Landschaft freigibt.
Die Zeichnung zeigt dagegen eine breitere Schilderung der Landschaft, eine Anhöhe
im Hintergrund mit drei aufgerichteten Kreuzen, die deutlich auf Golgatha, den
Ort der Kreuzigung, verweisen.
Zeichentechnik
Die Kanten des Blattes sind auf allen Seiten begradigt und wahrscheinlich auch
beschnitten. Die oberen Ecken sind abgeschnitten. Der Bildausschnitt wird durch
eine breite Tuschelinie eingefaßt, die oben mit einem Bogensegment abschließt.
Eine Unterzeichnung ist in Kohle angelegt und fixiert in groben Zügen die Komposition,
denen später die Ausarbeitung in Feder und Tusche folgte.
Die schnell gezogene Federzeichnung gibt im wesentlichen die Konturlinien der
Figuren und zum Teil deren Binnengliederung wieder. Auffallend ist die unterschiedliche
Stärke des Strichs. Dünne, ausgezehrte Linien stehen besonders Dunklen gegenüber,
die durch mehrfaches Ausziehen bereits bestehender Linien entstanden sind. Insgesamt
zeigt sich eine recht grobe Anlage der Federzeichnung und das bei Jürgen Ovens
ansonsten typische Merkmal eines Wechsels zwischen fein, präzise und grob gezeichneten
Partien fehlt.
[142] Selbst die Gesichter und die Binnenzeichnung des nackten Körpers Christi
erscheinen überzeichnet.
[143]
Schraffen geben die Verteilung von Licht und Schatten an, werden parallel nebeneinander
gesetzt und enden an der Konturlinien. Überlagerungen sind zu tief dunklen Flächen,
wie es das Mariengewand zeigt, ausgearbeitet.
Bildaufschrift
Unterhalb der Zeichnung wurde von Jürgen Ovens folgende Aufschrift angebracht:
"Dieser abriss gefelt meiner fr.
Mutter und uns allen sehr woll,
nurten das ich avec /
Vostre permission dabey zu erinnern,
das ich ohn massgeblich nötig erachte des H. Christi positur /
umbzustellen, weil die eröffnung in der lincken seite gesehen.
Er excusire meine Freybostigkeit [144]
. /
So diese invention Mevrouw Hoeff Räthin Vrouw [145]
Gloxinsche [146]
/
dürffte in wohlbeliebigkeit voerkommen, so wolle Sij ohn- /
schwer die maesse v: Ihro gönstige order senden" [147]
Aus der Aufschrift geht hervor, daß die Zeichnung und der dazugehörige Text
an Margareta Gloxin, die Ehefrau bzw. Witwe eines Hofrates der Herzöge von Gottorf
("Mevrouw Hoeff Räthin Vrouw Gloxinsche"), gerichtet ist. Jürgen Ovens hofft,
daß seine Bilderfindung ("invention") Gefallen finden und er einen Auftrag zur
Umsetzung dieser Zeichnung in ein Gemälde erhalten werde, wofür er des weiteren
"ohnschwer die maesse" benötige.
Aufgrund des Gegenstandes der Darstellung hat Harry Schmidt vermutet, daß die
"Beweinung Christi" ursprünglich als Hauptbild des "Gloxin-Epitaphs" im Dom
zu Schleswig gedacht gewesen sei.
[148] Das Gemälde ist jedoch wahrscheinlich nie zur Ausführung gelangt.
Das erhaltene Epitaph, bestehend aus den Portraits der Eheleute Gloxin über
einer Schrifttafel im Hauptfeld, wird in die Zeit zwischen 1665-1675 datiert
und zeigt keine Spuren einer späteren Veränderung.
[149] Harry Schmidt versucht des weiteren, die Zeichnung anhand der Aufschrift
zu datieren. Dabei geht er davon aus, daß die Zeichnung zum einen eine vorbereitende
Studie sei, und zum anderen, daß sich der Auftrag auf das "Gloxin-Epitaph" beziehe.
[150] Demnach sei die Zeichnung wahrscheinlich nach dem Tod von Balthasar
Gloxin (1654), zu dessen Angedenken Margareta Gloxin das Epitaph errichten ließ,
und vor dem Tod der Mutter von Jürgen Ovens (1657), die in der Aufschrift genannt
wird, entstanden.
[151] Die Zeichnung, als Entwurf für ein Gemälde angelegt, sollte Margareta
Gloxin als gezeichnetes ‘Modello‘ dienen,
[152] um von ihr den Auftrag zur Ausführung des Gemäldes zu erhalten. Weder
wissen wir, ob Margareta Gloxin den Entwurf erhielt, noch ob sie ggf. auf ihn
reagierte.
Würde eine relativ späte Datierung der Zeichnung um das Jahr 1657 angenommen,
so ist es möglich, das Fehlen einer Auftragsbestätigung aus der Biographie des
Künstlers abzuleiten. Da dieser noch im selben Jahr nach Amsterdam übersiedelte
und deshalb eine der beiden Parteien möglicherweise das Interesse am Auftrag
verlor. Dies kann nicht mehr als eine Vermutung sein, da sich selbst aus der
Annahme, daß der Künstler nicht mehr zur Verfügung stand, eine Reihe von weiteren
Hypothesen ergibt. Hätte er doch auch ein fertiges Gemälde aus Amsterdam nach
Holstein schicken können, wie es zuvor im Auftrag der Herzöge häufiger vorgekommen
war. Demnach ist es möglich, daß entweder der Künstler den Auftrag aufgrund
anderer Verpflichtungen nicht mehr ausführen konnte oder die Auftraggeberin,
Margareta Gloxin, ihre Pläne unter Umständen auch aus finanziellen Gründen änderte.
Zu bedenken ist in diesem Fall, daß die Bewohner des Herzogtums gegen Ende der
1650er Jahre ein Übergreifen der schwedisch-dänischen Auseinandersetzungen als
Partikular-konflikt des Dreißigjährigen Krieges auf Holstein befürchteten.
" Heiliger Sebastian mit zwei Engeln " |
Titel: |
" Heiliger Sebastian mit zwei Engeln " [153] |
|
Vorlage: |
Anton van Dyck, " Heiliger Sebastian mit zwei Engeln " [154] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier [155] |
|
Format: |
28,5 x 20,3 cm |
|
Datierung: |
1667-1663 [156] |
|
Sammlung: |
Hamburg, Kupferstichkabinett der Kunsthalle Hamburg, Inv.-Nr. 22326 [157] |
|
Aufschrift: |
eigenhändig, mit Feder in brauner Tusche |
Bildbeschreibung
Die Zeichnung der "Heiliger Sebastian mit zwei Engeln" (Abb. 7) zeigt
den geschundenen Märtyrer, wie er an einem Baum gebunden ist und ihm die Hilfe
zweier Engel zuteil wird. Der Heilige ist fast vollständig entkleidet, lediglich
ein Tuch bedeckt seine Blöße, das ihn darüber hinaus zum Teil hinterfängt. Er
verharrt in einer nicht genau zu bestimmenden Haltung, die ihn mit aufrechten
Oberkörper und angewinkelten Beinen zeigt. Der rechte Arm ist verschränkt und
hinter den Körper geführt, während der Linke ausgestreckt an den Baum gebunden
ist. Der im Verhältnis zum Körper viel zu kleine Kopf ist kraftlos nach vorn
auf die Brust gefallen.
Ein Engel tritt von der Seite an den hl. Sebastian heran und hält einen Pfeil
in seiner ausgestreckten Hand, während ein weiterer Engel zwischen ihnen kniet
und eine der Fesseln löst. Die Fesseln an Armen und Beinen und der Pfeil sind
die Werkzeuge, die auf die Marter des Heiligen verweisen, die ansonsten nicht
durch Wundmale am Körper abzulesen ist. Die Figurengruppe wird von einem Baum
hinterfangen, der die Mitte des Bildes einnimmt und eine räumliche Grenze zum
Landschaftsausblick im Hintergrund bildet. Am linken unteren Rand ist ein Teil
seiner Rüstung abgelegt.
Vergleich der Zeichnung mit dem Vorbild
Jürgen Ovens benennt als Vorbild seiner Federzeichnung ein Gemälde von Anton
van Dyck. In dessen Oeuvre finden sich verschiedene Darstellungen des "Hl. Sebastian"
in unterschiedlichen Fassungen. Harry Schmidt benennt als konkretes Vorbild
eine Fassung in der Eremitage zu St. Petersburg, die heute nicht mehr nachweisbar
ist.
[158] Jedoch hat sich eine sehr ähnliche Darstellung in der Galleria Sabauda
in Turin erhalten, die in der Forschung als erste Bildfindung gilt und ebenfalls
als Vorbild gedient haben könnte.
[159]
Ein Vergleich zwischen der Zeichnung und dem Gemälde in St. Petersburg (Abb.
8) zeigt übereinstimmend die Figur des an einen Baum gefesselten und gemarterten
hl. Sebastian, dem die Hilfe zweier Engel zuteil wird. In der Zeichnung ist
die Gruppe stärker zur Mitte hin ausgerichtet. Der Heilige sitzt aufrechter,
an den Baum gelehnt und sein linker Arm ist ausgestreckt an diesen gebunden.
Das unklare Sitzmotiv erschließt sich im Vergleich mit dem Gemälde, das den
Heiligen schräg auf einen Felsen gelagert zeigt, von dem er sich mit seinem
hinter den Rücken geführten Arm abstützt. Der linke Arm ist nicht gestreckt
sondern in der Armbeuge gebunden, so daß der Unterarm kraftlos herunterhängt.
Jürgen Ovens variiert hier nicht einzelne Details, sondern nimmt Eingriffe in
die gesamte Körperhaltung vor. Die Streckung des Armes zeigt als deren ablesbare
Folge eine veränderte Haltung des Oberkörpers und des Kopfes, und auch der rechte
Arm dient nicht mehr dazu, den Körper abzustützen.
Zeichentechnik
Das Blatt wurde an allen Seiten begradigt und wahrscheinlich auch beschnitten,
so daß u. a. die den Bildausschnitt einfassende Tuschelinie auf der rechten
Seite fehlt.
[160] Eine Unterzeichnung in Kohle findet sich entlang der Tuschelinien
sowohl der Konturen als auch der Binnenzeichnung.
[161] Auffallend ist das Raster, das über die Kohlezeichnung gelegt ist,
bestehend aus drei senkrechten und vier horizontalen Linien.
Der Federstrich ist zumeist schwungvoll gezogen, während die Konturlinien durch
wiederholtes Ansetzen der Feder kantiger ausfallen. Mit kurzen und feinen Strichen
ist die Binnengliederung u. a. des nackten Körpers und der Gesichter gegeben.
Durch das Anlegen von Schraffen wird die Verteilung von Licht und Schatten angedeutet
und ansatzweise ein räumlicher Eindruck vermittelt. Weitgehend von der Figur
des hl. Sebastian überschnitten, erscheint der kniende Engel verschattet und
die Schraffen sind eng und mehrfach sich kreuzend über den Körper verteilt.
Die zeichnerische Aufnahme besitzt offenkundig einige Mängel u. a. in der Proportion,
von denen insbesondere der viel zu kleine Kopf des Heiligen und dessen entstellte
Schulterpartie zu nennen sind. Anders verhält es sich mit der ebenfalls verzeichneten
Hand des stehenden Engels, die von Jürgen Ovens auf die Darstellung eines Handschemas
reduziert wird. Das Augenmerk des Künstlers richtet sich eindeutig auf die Gesamtkomposition.
Wesentlich ist die Anlage der Figuren durch Fixierung der Konturlinien, die
Verteilung der Figuren im Raum und somit deren Stellung zueinander und die durch
Gestik und Mimik verdeutlichte Handlung. Das zusammen erklärt den Gegenstand
der Darstellung, der vom Künstler nicht mehr separat in dem angefügten Text
genannt wird.
Bildaufschrift
Unterhalb der Zeichnung und von dieser durch die rahmende Einfassung getrennt,
hat Jürgen Ovens eine Aufschrift in niederländischer Sprache angebracht:
"A: V. D. by Six,
[162] krachtig. natüer=/
lick. en seer milden."
[163]
"A: V. D. (Anton van Dyck)
[164] bei Six. Kräftig, natür-
lich und sehr milde."
[165]
Darin benennt der Künstler ein Gemälde von Anton van Dyck in der Sammlung
des Jan Six als Vorlage für seine Zeichnung. Demgegenüber ist die Bedeutung
der Wörter "krachtig. natüerlick. en seer milden" nicht ohne weiteres zu erklären.
Es bleibt ungenannt, ob sie sich als Beschreibung auf den Heiligen als der beherrschenden
Figur des Gemäldes oder auf die gesamte Komposition beziehen. Meines Erachtens
richtet sich die kurze Charakterisierung auf die Gesamtdarstellung und nicht
auf den Heiligen allein, den Jürgen Ovens ansonsten wohl genannt hätte. Im Vergleich
dazu werden Maria und Christus in der Aufschrift zur Zeichnung nach Sebastiano
del Piombo ausdrücklich aufgeführt.
[166] Des weiteren ist die Verwendung des Adjektives "milde" auch
in der Aufschrift eines anderen Blattes nach Anton van Dyck zu finden und bezieht
sich dort auf die angemessene Abstufung der Schattentiefe.
[167] Meines Erachtens ließen sich die Worte Jürgen Ovens am ehesten auf
die Zeichnung der Figuren, durch die Betonung der Umrisse ("kräftig"),
auf die plastische Ausarbeitung des nackten Körpers oder die realistische Farbigkeit
("natürlich") und auf die ausgewogene Verteilung von Licht und Schatten
("milde") beziehen.
4.2. Zeichnungen nach Kompositionen italienischer Meister:
Jürgen Ovens hat neben den Zeichnungen nach Gemälden von Anton van Dyck auch
nach verschiedenen Vorbildern italienischer Meister gearbeitet. Die bekannten
Vorlagen gehen auf Sebastiano del Piombo, Caravaggio und auf Arbeiten von Tizian
und dessen Umkreis zurück. Das Interesse des Künstlers an Gemälden italienischer
Maler ist auch durch die Rekonstruktion der Ovens‘schen Kunstsammlung belegt,
in welcher sich elf Originale und Kopien von acht verschiedenen Künstlern befanden,
von denen wiederum vier Kopien selbst von Jürgen Ovens angefertigt wurden.
[168]
" Heilige Familie mit Johannesknaben " nach Sebastiano del Piombo |
||
Titel: |
" Heilige Familie mit Johannesknaben " [169] |
|
Vorlage: |
Sebastiano del Piombo, " Heilige Familie mit Johannesknaben " [170] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier |
|
Format: |
25,0 x 20,3 cm |
|
Datierung: |
1657-1663 |
|
Sammlung: |
Hamburg, Kupferstichkabinett der Kunsthalle Hamburg, Inv.-Nr. 22325 [171] |
|
Aufschrift: |
eigenhändig, mit Feder in brauner Tusche |
Bildbeschreibung
Das Blatt zeigt die "Heilige Familie mit Johannesknaben" (Abb. 9) in einer Landschaft.
Christus ist in die vordere Bildzone gerückt, liegt ausgestreckt auf einem Tuch,
und sein Lager überschneidet die weiteren Figuren. Seinen Kopf hat er auf den
rechten Arm gelegt und ruht mit samt dem Oberkörper auf einem bauschigen Kissen.
Der linke Arm ist vor den Körper geführt, so daß der überlängte Körper seitlich
gelagert und somit gänzlich ansichtig ist.
Maria hat ihren Blick auf den schlafenden Christus gerichtet, den Kopf leicht
geneigt und entgegen ihrer übrigen Körperhaltung nach rechts gewendet.
[172] Sie hält ein Tuch, das sie oberhalb des Kindes emporhebt. Entweder
ist sie im Begriff, den Körper des Kindes zu bedecken oder zu enthüllen, um
es zu präsentieren. Dieser Schwebezustand ist charakteristisch für den Typus
der ‘Madonna del velo‘
[173], die ihr Kind ver- oder enthüllt. Die Darstellung des Tuches, das
leicht und durchsichtig erscheint, zeugt von besonderer Raffinesse, so scheint
der dunklere Stoff des Mariengewandes durch dieses hindurch. Die Marienfigur
ist äußerst grazil und anmutig gezeichnet. Sie trägt ein stoffreiches Gewand,
bestehend aus einem Unterkleid, zu dem die eng anliegenden Ärmel gehören,
und ein darüberliegendes weites Obergewand. An der Schulterpartie ist die Kleidung
zunächst nicht eindeutig zu bestimmen. Was entblößt erscheint, wird entlang
der inneren Konturlinie vom Untergewand verdeckt, das seinerseits vom tief herunter
gerutschten Obergewand eingefaßt wird.
Hinter Maria erscheint Joseph, der, von ihr überschnitten, in den Bildmittelgrund
rückt. Er wendet sich der Szene zu, und sein Blick ist ebenfalls auf das Kind
gerichtet. Mit seinem linken Arm hält er sich an dem Ast eines Baumes fest,
der ansonsten nur durch üppiges Laub im Bild erscheint. Als weitere Figur steht
der Johannesknabe hinter dem Lager Christi und wendet sich mit erhobener Hand
in einer sprechenden Geste an Maria und Joseph.
Vergleich der Zeichnung mit dem Vorbild
Die Zeichnung geht auf die Vorlage eines Gemäldes zurück, das Jürgen Ovens selbst
als ein Werk von Sebastiano del Piombo bezeichnet. Im Oeuvre des Italieners
sind die Darstellungen der "Heiligen Familie mit Johannesknaben" mit Maria als
‘Madonna del velo‘ in mehreren Fassungen erhalten.
[174] Von diesen gelten mindestens eine erste Bildfindung und ihre seitenverkehrte
Variante als eigenhändig. Die Vielzahl der Fassungen dokumentiert vor allem
die Beliebtheit der Komposition und läßt deutlich werden, daß bereits im 16.
Jh. neben den Werken Sebastiano del Piombos auch eine unbekannte Anzahl von
Kopien existiert haben.
[175]
Das von Jürgen Ovens benannte Vorbild aus der Sammlung des "Henrico Scolten",
das heute nicht mehr nachweisbar ist, war aller Wahrscheinlichkeit nach keine
eigenhändige Fassung von Sebastiano del Piombo, sondern eine der zahlreichen
Kopien.
[176] Ungeachtet der Zuschreibung, muß das Gemälde von einer Qualität gewesen
sein, die Jürgen Ovens veranlaßte, es in Form einer Zeichnung zu wiederholen.
Darüber hinaus ist anzunehmen, daß die Unterscheidung zwischen einer eigenhändigen
Fassung und einer Kopie für Jürgen Ovens von untergeordneter Bedeutung war.
Sein Interesse richtete sich vor allem auf die Komposition, um sie als Studienmaterial
für sein eigenes Werk zu übernehmen.
Im folgenden wird dennoch für den Vergleich das Gemälde aus der Nationalgalerie
zu Prag (Abb. 10) herangezogen, das als eigenhändige Fassung des Sebastiano
del Piombo gilt. Gemälde und Zeichnung erscheinen zunächst ähnlich und sind
zugleich in den Details sehr verschieden. Der Bildausschnitt des Gemäldes ist
kleiner und überschneidet Joseph und Johannes. Außerdem erscheinen die Figuren
dicht gedrängt. Im Unterschied zur Zeichnung gibt das Vorhangmotiv zur Linken
den Blick auf die Szene vor dunklem Hintergrund in einen Innenraum frei. Im
Gemälde hat Christus beide Arme vor den Körper geführt und hält einen Stieglitz,
während in der Zeichnung dieses Symbol für die Passion Christi fehlt. Die Überlängung
des Körpers wird in der Zeichnung noch verstärkt. Die Armhaltung der Maria ist
variiert; im Gemälde sind ihre Arme noch deutlich steiler und dichter an den
Körper geführt. Joseph steht näher bei der Gottesmutter und hat sich zudem leicht
vorgebeugt, so daß Maria stärker alle Figuren überragt. Die Darstellung Josephs
wird in der Zeichnung um das Motiv erweitert, wie er sich an einem Ast festhält.
Wie bereits erwähnt, wird Johannes vom Rand überschnitten.
Im Gemälde legt Johannes seine Hand vor den Körper und hält eine Schriftrolle
mit den Aufschrift ‘Agnus Dei‘. Jürgen Ovens erweitert den Bildausschnitt zur
Linken, so daß er die Darstellung des Johannes ergänzen muß, und erfindet für
den rechten Arm eine Position auf dem Kissen, während der Linke in einer sprechenden
Geste vorgestreckt wird.
Zusammenfassend zeigt sich, daß die Zeichnung die Bilderfindung von Sebastiano
del Piombo weitgehend adaptiert, jedoch nicht ohne einschneidende Veränderungen
vorzunehmen. Die Szene wird als Erfindung von Jürgen Ovens aus dem Innenraum
heraus in eine offene Landschaft übertragen.
[177] Die weiteren Unterschiede in der Komposition lassen sich zumeist auf
die Erweiterung des Bildausschnitts zurückführen, da Joseph und Johannes nicht
mehr vom Rand überschnitten werden. Beide werden nicht mehr passiv dargestellt.
Joseph hält sich an einem Ast fest und Johannes zeigt eine sprechende Handgeste.
Jürgen Ovens läßt den Gesichtern als Ausdrucksträgern in der technischen Ausführung
besondere Aufmerksamkeit zu kommen und folgt darin dem Gemälde von Sebastiano
del Piombo.
Zeichentechnik
Das Blatt ist an allen Seiten beschnitten. Die in Feder gezogene Einfassung
der Szene ist verloren gegangen, da sie am oberen Rand zum Teil und auf der
rechten Seite gänzlich abgeschnitten wurde. Am rechten Rand laufen einzelne
Umrißlinien, wellenlinig gezogene Schraffen und ein Federstrich, der einen Einschub
in den Text markiert, nicht mehr aus. Die Reste einer Unterzeichnung in Kohle
sind entlang einzelner in Tusche gezogener Konturlinien zu erkennen. Dies ist
besonders deutlich am Kopf des Christusknaben, entlang der Gliedmaßen und am
Bauch, sowie an den Figuren des Johannes und des Josephs nachzuvollziehen.
[178]
Der Federstrich ist vergleichsweise fein gezogen. Runden, schwungvollen Linien
in der Kontur stehen auffallend kantig gezeichnete Details gegenüber. Insbesondere
die Darstellung der Hände zeigt bei allen Figuren eine Schwäche in der zeichnerischen
Ausführung. Die Finger werden durch sehr kurze, aneinander gesetzte Striche
gezeichnet und sind zumeist durch Zwischenräume streng getrennt nebeneinander
gesetzt.
Die Gewandfalten erscheinen als Binnengliederung der Figuren und werden technisch
als Grenzen zwischen benachbarten Flächen aufgefaßt. Eine daran anschließende
Schattierung zur Differenzierung der Stofflichkeit, wie sie im Gewand der Maria
durch Schraffen angedeutet ist, fehlt bei Joseph gänzlich. Die Schraffen auf
Oberkörper und Arm geben nur grob die Verschattung durch die Figur der Maria,
bzw. durch den Ast an. Zumeist sind die Schraffen von geringer Länge und werden
parallel nebeneinander gesetzt. Sie folgen, wie es am Christusknaben, oder am
Ärmel des Mariengewandes zu beobachten ist, den Konturlinien. Ähnlich
verhält es sich mit den Schraffen an der Josephsfigur, die jedoch darüber hinaus
als Andeutung einer größeren Verschattung auch über die Binnenzeichnung hinweg
gehen. Neben den parallel geführten Strichen findet sich eine wellenlinige Schraffur.
Beispiele für diese graphische Gestaltung finden sich in der Johannesfigur,
in den Gewändern der Maria und des Josephs, sowie auf dem Laken, dem Tuch und
in der Baumstruktur. Verschattete Partien werden durch Schraffen angegebenen,
welche die helleren Teile der Komposition noch deutlicher hervortreten lassen,
u. a. das Gesicht der Maria gegenüber Halspartie und Hinterkopf. Dadurch wird
zum einen die Beleuchtungssituation erklärt und zum anderen ansatzweise räumliche
Tiefe erreicht.
Die Graphik ist in der Angabe der Gesichter, die fein und sauber gezeichnet
sind, auffallend qualitätvoll. Diese Genauigkeit einzelner Details stehen scheinbar
Mängel in der Ausführung der Umrißlinien entgegen. Die Konturen sind aus kürzeren
Linien zusammengesetzt, so daß durch wiederholtes Ansetzen der Feder zumeist
kantige Übergänge innerhalb der Tuschelinie entstehen. Diese Art der Ausführung
ist wahrscheinlich der Eile, in der die Zeichnung entstanden ist, zuzuschreiben.
Der Gegensatz zwischen Partien, die in ihrer technischen Anlage kaum unterschiedlicher
sein können, ist jedoch nicht auf mangelnde Beherrschung des Materials zurückzuführen,
sondern zeigt, daß einzelne Partien gemäß einer bestimmten Wertigkeit unterschiedlich
stark ausgearbeitet sind. Das Augenmerk des Künstlers richtet sich auf die Wiedergabe
der Konturlinien als Gerüst der Gesamtkomposition und auf die Charakterisierung
der Gesichter von Maria und Joseph als Ausdrucksträger. Durch die Erweiterung
des Bildausschnitts erhalten die Figuren mehr Raum, den der Künstler mit neu
erfundenen, narrativen Elementen füllt. Die Binnengliederung und weitere Details
sind dagegen von geringerer Bedeutung. Beispielsweise reduziert sich die Darstellung
der Hände auf ein stark vereinfachtes Fingerschema. Zwar ist die Handhaltung
für die Komposition von Bedeutung, nicht jedoch die Hände selbst. So ist die
Qualität der Darstellung in einzelnen Details, wie es u. a. die Hände zeigen,
getrost zu vernachlässigen. Hätte der Künstler die Komposition anhand der Federzeichnung
später in ein Gemälde umsetzen wollen, so wären vorherige Schemata durch separate
Studien in der Werkstatt nach dem Modell ersetzt worden.
Bildaufschrift
Unterhalb der Zeichnung hat Jürgen Ovens eigenhändig eine Aufschrift in niederländischer
Sprache angebracht:
"SeB: del: Piombo. bij Henrico. Scolten.
[179] /
Eene ovueruijt groete cracht van uijtekening, /
en niet subijet, maer allenskes bestaende /
in een flackte, insonderheit it christkind, /
en de Marijen Tronij, alles van een ander /
afgedaeget, dat it scheint loss te sijn in /
de uijterste verkiesing van Schoenheit van Tekening woewel
[180] /
it int geheel wat blauwaftig gkoloreert is."
[181]
Seb(astiano) del Piombo bei Henrico Sc(h)olten.
Eine überaus große Kraft der Zeichnung
in einer Darstellung, in der alles besteht
in einer Fläche, insbesondere das Christkind
und das Gesicht der Maria, alles von einander
abgestuft, das es los zu sein scheint
unter der äußersten Verwendung von Schönheit der Darstellung
[182], obwohl
es im Ganzen etwas bläulich koloriert ist.
[183]
Der Künstler benennt als Vorbild seiner Zeichnung ein Gemälde von Sebastiano del Piombo, das er in der Sammlung des Henrik Scholten gesehen habe. Seine folgende Erklärung ist keine Bildbeschreibung, sondern eine kurzgefaßte Erläuterung einiger charakteristischer Merkmale des Gemäldes, die sich nicht allein anhand der zeichnerischen Kopie darstellen lassen. Jürgen Ovens spricht von der großen Kraft der Zeichnung ("groete cracht van uijtekening") und betont damit die lineare Struktur des Gemäldes in den Umrißlinien und der Binnenzeichnung. Alles bestehe in einer Fläche ("allenskes bestaende in een flackte"), was indirekt eine fehlende Räumlichkeit und Plastizität der Figuren andeutet. Neben dieser ersten, indirekten Kritik, wird die außerordentliche Schönheit des Gemäldes ("uijterste verkiesing van Schoenheit van Tekening") gelobt, die sich wahrscheinlich am ehesten auf die explizit genannten Figuren der Maria und des Christusknaben bezieht. Und als ob Jürgen Ovens seine Beobachtung durch eine angemessen kritische Haltung mehr Glaubwürdigkeit verleihen möchte, schließt er seine Ausführungen mit einer Anmerkung über die Farbigkeit, die zu bläulich geraten sei ("int geheel wat blauwaftig gkoloreert").
Umsetzung der Zeichnung zur Gemäldefassung
Jürgen Ovens bedient sich der zeichnerischen Kopie als Vorlage für das Gemälde
"Heilige Familie mit Johannesknaben und hl. Elisabeth" (Abb. 11)
[184]. Während die Zeichnung in den Zeitraum des zweiten Aufenthaltes des
Künstlers in Amsterdam datiert wird (1656-1663), ist das Bild wohl nicht vor
1670 entstanden. Die Übertragung der zeichnerischen Kopie in eine Gemäldefassung
belegt, daß die Zeichnung dem Künstler tatsächlich als Arbeitsmaterial gedient
hat. Der Vergleich zwischen dem Vorbild und der Zeichnung macht deutlich, daß
Jürgen Ovens die Komposition Sebastiano del Piombos studierte, in ein anderes
Medium übertrug und zugleich veränderte. Die abermalige Übertragung zeigt sowohl
Modifikation gegenüber der Zeichnung, als auch dem Vorbild des Italieners. Entscheidend
ist der Vergleich zwischen der Nachzeichnung und der Gemäldekopie, da sich der
Künstler nunmehr allein auf die Zeichnung, die er zu diesem Zweck angefertigt
hatte, beziehen kann. Gänzlich neu ist die Erweiterung der Szene mit der Figur
der hl. Elisabeth, die Mutter des Johannes, die am linken Bildrand stehend,
sich in Betrachtung es Kindes herunterbeugt und beide Hände in einer erstaunten
Geste zusammen vor die Brust legt. Johannes erscheint weit niedriger im Bild,
so daß er gerade einmal über das Kissen, auf dem Christus ruht, hervorschaut.
Mit beiden Händen umfaßt er das Kissen und schaut zu Maria empor.
Die Gemäldekopie wird 1691 von den Nachkommen der Maria und des Jürgen Ovens
der Kirche St. Laurentius in Tönning zum Andenken an die Eltern gestiftet. Zuvor
findet sich das Gemälde im Nachlaßinventar der Maria Ovens als Teil der Sammlung
des Künstlers unter den eigenhändigen Originalen wieder und wird bei weitem
am höchsten bewertet.
[185]
" Marientod " nach Caravaggio | ||
Titel: |
" Marientod " [186] |
|
Vorlage: |
Caravaggio, " Marientod " [187] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier, [188] Unterzeichnung in Kohle |
|
Format: |
24,0 x 19,2 cm |
|
Datierung: |
1667-1663 |
|
Sammlung: |
Hamburg, Kupferstichkabinett der Kunsthalle Hamburg, Inv.-Nr. 22328 [189] |
|
Aufschrift: |
eigenhändig, mit Feder in brauner Tusche |
Bildbeschreibung
Die Federzeichnung des "Marientodes" (Abb. 12) zeigt die sterbende Maria, hinterfangen
von der Gruppe der Apostel und begleitet von Maria Magdalena. Die barfüßige
Maria lagert ausgestreckt auf einem Bett, das leicht schräg in den Bildraum
hinein gedreht ist und von einer Decke eingehüllt wird. Kopf, Schulterpartie
und der linke Arm Mariens ruhen leicht erhöht auf einem Kissen. Während der
rechte Arm nicht sichtbar am Körper anliegt und die Hand auf dem Bauch ruht,
ist der linke Arm weit über das Kopfkissen hinaus gestreckt. Die Hand hängt
kraftlos nach unten. Das Gesicht der Maria zeigt bei geschlossenen Augen und
leicht geöffnetem Mund keinen bestimmbaren Ausdruck; über ihrem Haupt ist ein
Nimbus gezeichnet.
Die Gruppe der Apostel staffelt sich hinter dem Lager der Maria in den Bildraum
hinein und wird von der liegenden Figur überschnitten. Lediglich der Apostel
zur Linken bleibt ohne Überschneidung und befindet sich ungefähr auf der Höhe
des Bettes. Er wird in leichter Schrittstellung gezeigt und nähert sich mit
gesenktem Kopf, die Hände vor dem Körper in einem Trauergestus verhüllt, dem
Lager. Zwei Apostel stehen besonders nahe am Leichnam und heben sich schon aufgrund
ihrer fast ganzfigurigen Darstellung ab. Der Barhäuptige von ihnen hat sich
weit vorgebeugt, so daß er Maria am nächsten ist. Die Beziehung zwischen ihm
und der Heiligen hat etwas Inniges, da es so scheint, als würde er ihr das Lager
richten oder sie auf das Kissen betten. Hinter diesen drei Figuren ist eine
weitere Reihe von Aposteln zu erkennen, die ihrerseits zu einzelnen Gruppen
zusammengefaßt sind. Neben den Umrißlinien der Köpfe sind die Gesichter nur
mit wenigen Strichen fixiert, wie vor allem die Gruppen links und in der Mitte
zeigen. Es gibt eine Figur, deren Kopf einzig durch die Umrißlinie angedeutet
wird. Dennoch reichen die minimalen Angaben dazu aus, um unterschiedliche Typen
vorzustellen. Ein Apostel hat sein Kinn auf die linke Hand gestützt und erscheint
in sich gekehrt in einem Gestus des Nachdenkens verharrend.
Als weitere Trauerfigur ist die am Boden vor dem Bett hockende Maria Magdalena
zu erkennen. Sie wirkt gänzlich in sich gekehrt und hat ihr Gesicht in die Handfläche
gelegt. Mit weit vorgebeugten Oberkörper bildet sie eine Figur mit geschlossener
Umrißlinie.
Zur Komposition ist anzumerken, daß der Raum weitgehend unbestimmt ist. Lediglich
ein Vorhang, der ungefähr von der Bildmitte des oberen Randes ausgeht, erscheint
im Raum. Der Stoff berührt gerade die Rückenlinie eines Apostels, so daß der
Vorhang keine der Figuren überschneidet. Umso stärker erscheint es, als würde
die Szene durch den aufgezogenen Vorhang wie auf einer Bühne präsentiert. Ebenso
inszeniert wirkt die Lichtregie. Ein starker Schatten der durch den Lichteinfall
zur Linken entsteht, wird durch sich kreuzende Schraffen gebildet. Der Lichtkegel,
der wie ein Spot die Szene beleuchtet, ist durch wenige Kohlestriche angedeutet
und wird des weiteren nur durch die Schattenbildung der Figuren deutlich.
Vergleich der Zeichnung mit dem Vorbild
Der Vergleich zwischen dem "Marientod" (Abb. 13) von Caravaggio und der Zeichnung
von Jürgen Ovens zeigt Übereinstimmungen hinsichtlich der Raumsituation, der
Beleuchtung mit einem Lichteinfall von links oben, dem Vorhangmotiv und den
Figuren der gelagerten Maria und der Maria Magdalena. Jedoch werden auch einige
Unterschiede, sowohl in der Komposition, als auch in der Ausarbeitung einzelner
Figuren deutlich.
In der Zeichnung variiert die Darstellung der Apostel. Von links beginnend,
entwickelt Jürgen Ovens aus dem Standmotiv des ersten Apostels eine Schrittstellung
und dreht dessen Körper stärker zur Szene. Die drei hinter diesem stehenden
Apostel übernimmt Jürgen Ovens ebenso wenig, wie die Figur des Knienden, der
bei Caravaggio seine linke Hand vor das Gesicht hält. Der folgende Apostel erscheint
durch eine leichte Körperdrehung stärker auf Maria bezogen. Seine Hand ist zu
einer Geste erhoben, die von Jürgen Ovens zusätzlich eingeführt wird. Der Apostel,
der sich im Gemälde die Augen reibt, hat seine Hände ausgestreckt, um Maria
das Lager zu richten. Und letztlich ist der am rechten Rand stehende Apostel
in der Zeichnung stärker von der Seite gesehen und deutlicher vorgebeugt. Darüber
hinaus gibt der Kopist dem Apostel statt des jugendlichen Antlitzes die Erscheinung
eines wesentlich älteren Mannes.
Während Jürgen Ovens den knienden Apostel und die Figurengruppe am linken Bildrand
nicht in seine Zeichnung übernimmt, fügt er weitere Köpfe zu zwei Gruppen geordnet
im Hintergrund ein. Diese Art des Umgruppierens einerseits und das Drehen der
Personen andererseits zeigt, daß es für Jürgen Ovens wesentlich ist, die Figuren
der Szene enger zusammen zu rücken. Zu beiden Seiten wird die Figurengruppe
von einem Apostel, der sich durch die Körperhaltung auf die Gruppe bezieht,
eingefaßt. Caravaggios Figuren hingegen sind auf dem Gemälde über die ganze
Fläche verteilt.
Zeichentechnik
Die Kanten des Blattes sind auffällig gerade und sauber, so daß es wahrscheinlich
ist, daß das Blatt an allen Seiten beschnitten wurde. Die mit Feder in Tusche
gezogene Einfassung des Bildausschnittes, wie sie auf allen anderen zu dieser
Gruppe gehörenden Blätter zu finden ist, fehlt hier fast gänzlich. Ein minimaler
Rest ist an der oberen linken Seite des Blattes als kurzer senkrecht und parallel
zum Rand verlaufender Federstrich zu erkennen. Der Strich ist von gleichmäßiger
Stärke und der Verlauf der Tusche zeigt weder eine Verdickung vom Aufsetzen
der Feder noch ein Auszehren im weiteren Verlauf. Das Fehlen dieser charakteristischen
Merkmale ist ein deutlicher Beleg dafür, daß die Linie an beiden Enden beschnitten
wurde. Während die ursprüngliche Blattgröße nicht mehr zu bestimmen ist, scheint
der erhaltene Zeichengrund dem ehemaligen Bildausschnitt weitgehend zu entsprechen.
Die gezeichnete Einfassung des Bildes wurde, bis auf besagten Rest, abgeschnitten,
doch zeigt die Orientierung entlang des Randes deutlich, daß der Bildausschnitt
nur minimal verkleinert wurde. Auch die erhaltene Komposition steht dieser Annahme
nicht entgegen, da sie vollständig erhalten zu sein scheint.
Auf dem gesamten Blatt finden sich Spuren einer Unterzeichnung in Kohle, deren
Anlage jedoch nur undeutlich neben der Federzeichnung zu erkennen ist. Das Überarbeiten
der Kohlezeichnung in Tusche überdeckt die zuvor gezogenen Linien, wenngleich
nicht davon auszugehen ist, daß diese gezielt nachgezogen wurden. Am deutlichsten
ist die Unterzeichnung bei der Figur ganz links, allgemein jedoch auch an den
Köpfen der Apostel, am Körper der Maria und an der Maria Magdalena zu erkennen.
Die Federzeichnung umreißt die Kontur der Figuren, deutet mit dem Faltenmotiv
im Hintergrund sehr reduziert den Raum an und schafft durch zahlreiche übereinander
gelegte Schraffen einen räumlichen Eindruck bzw. modelliert die Figuren aus
Licht und Schatten. Der Verlauf der Konturen ist durch unterschiedliche Dicke
des Federstrichs und mehrfaches Ansetzen der Linie sehr unregelmäßig. Jürgen
Ovens zeichnet keine lang ausgezogenen, schwungvollen Linien, sondern setzt
unruhige, kantige und mitunter recht kurze Linien aneinander, wie dies besonders
die Gewandpartien u. a. der Marienfigur und die Ausarbeitung der Hände zeigen.
Der Federstrich ist teilweise kräftig ausgeführt und bildet flächige, sehr dunkle
Partien, die an eine Lavierung erinnern. Die ansonsten bei einer Lavierung zu
erwartende abgestufte Farbigkeit der Tusche fehlt jedoch. Vielmehr zeigt sich
eine gleichbleibende Schwärze, die durch mehrfaches Überfahren der Linien mit
der Feder erreicht wird. Einzelne Tuschelinien sind deutlich breiter und so
nah aneinander gesetzt, daß sich Flächen bilden, welche insbesondere die Zwischenräume
zweier Konturlinien ausfüllen.
Jürgen Ovens arbeitet die Federzeichnung stark mit Schraffen von sehr unterschiedlicher
Länge aus und zieht sie sowohl waagerecht, senkrecht als auch diagonal zum Blatt.
Zumeist folgt er der zu gestaltenden Fläche, die sich zwischen zwei Konturlinien
bildet und füllt diese durch parallel verlaufende Schraffen. Um verschiedene
Abstufungen zu erreichen, werden diese auch übereinander gezogen. Neben den
Schraffen, die an den Konturen enden, schneiden andere diese Linien und gehen
deutlich über die Konturen der Figuren hinaus. So entstehen in ihrer Helligkeit
stark voneinander unterschiedene Bereiche. Der Kontrast zwischen hellen und
dunklen Partien schafft ein räumliches vor- und hintereinander und eine Staffelung
in den Bildraum hinein. Die waagerecht gelagerte Figur der Maria überschneidet
die Apostel, die durch Schraffen verschieden abgestuft sind. Die liegende Maria
ist die einzige horizontale Figur der Komposition. Sie rückt aufgrund ihrer
unüberschnittenen Darstellung weit in den Vordergrund und erscheint durch verhältnismäßig
geringe Schraffen besonders hell. Damit erscheint sie im Zentrum der Beleuchtungssituation,
mit einem starken Lichteinfall von links oben, der über die Apostelgruppe streifend,
Oberkörper und Gesicht der Maria erreicht. Durch den extremen Lichteinfall entsteht
ein Schlagschatten der vorgestreckten Hand des mittleren Apostels auf den Rücken
der vor ihm gebeugten Figur.
Während die Zeichnung mit ihrer unterschiedlichen Dicke der Linien und kantigen
Ausarbeitung des Federstrichs einerseits besonders grob und hastig gearbeitet
erscheint, zeigen sich andererseits sehr fein und sicher gezeichnete Details.
Die Gesichter der Apostel sind in wenigen Strichen ebenso präzise wiedergegeben,
wie das auf ein Minimum an Binnenzeichnung reduzierte Antlitz der Maria. Mit
einem Federstrich sind zugleich Auge, Braue und Nase modelliert und der Mund
erscheint leicht geöffnet und kraftlos. Des weiteren ist das Gesicht des Apostels,
der sich über die Liegende beugt, besonders fein gezeichnet.
Bildaufschrift
Aufgrund der Beschneidung des Blattes ist es nicht möglich zu bestimmen, ob
ehedem ein Text zu der Zeichnung gehörte. Doch als Besonderheit dieses Blattes
hat Jürgen Ovens an wenigen Stellen Farbangaben eingefügt. Eindeutig ist das
Wort "yell" am Gewand der Maria Magdalena zu lesen, das als gelb zu übersetzen
ist. Daher kann auch für die übrigen Kürzel angenommen werden, daß es sich um
Farbangaben handelt. Auf der linken Schulter der Maria Magdalena ist ein "w."
zu lesen, das sich als ‘wit‘ oder weiß auflösen läßt und auf dem Gewand der
Maria finden sie die Buchstaben "S. R." , die vielleicht einen bestimmten Rotton
wie Zinnober-Rot bezeichnen.
4.3. Kompositionen nach Tizian und
dessen Umkreis
Die technische Behandlung der drei folgenden Blätter läßt auch diese als Nach-zeichnungen
erkennen. Es bereitet jedoch Schwierigkeit die wahrscheinlichen Vorbilder zu
identifizieren. Zwar ist nach den vorangegangenen Beispielen mit einigen Veränderungen
durch die zeichnerische Kopie zu rechnen, so daß es zuerst nicht verwundert,
kein konkretes Vorbild benennen zu können. Doch selbst unter Berücksichtigung
einer gewissen Bandbreite scheinen sich keine ähnlichen Gemäldefassungen erhalten
zu haben.
Der Gesamteindruck wirkt italienisch und wohl am ehesten venezianisch. Vor allem
die Madonna, sowohl in der "Anbetung der Hirten" als auch in der "Madonna mit
Kind, Johannesknaben und hl. Katharina" scheint einen bestimmten Typ zu paraphrasieren.
Beim Durchblättern des "Italienischen Skizzenbuches" von Anton van Dyck entsteht
der Eindruck ähnliches zu sehen: fol 12r zeigt ein sehr bewegtes Christkind,
gehalten von seiner Mutter, wie es nach der hl. Katharina greift; fol 17r weist
eine ähnliche Mutter-Kind-Gruppe auf, aus einer anderer Perspektive gesehen
und um den Johannesknaben erweitert und letztlich, um nur noch ein weiteres
Beispiel zu nennen; fol 18v: zeigt die Heilige Familie um die Figuren der hl.
Katharina und des Johannes erweitert. Den Aufschriften Anton van Dycks zufolge
handelt es sich um zeichnerische Kopien nach Tizian, so daß meines Erachtens
auch für die Blätter von Jürgen Ovens in dessen Umkreis nach den Vorbildern
zu suchen ist.
„ Anbetung der Hirten " | ||
Titel: |
" Anbetung der Hirten " [190] |
|
Vorlage: |
unbekannt [191] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier, Unterzeichnung in Kohle |
|
Format: |
20,7 x 28,9 cm |
|
Datierung: |
um 1670 |
|
Sammlung: |
Kunstverein Bremen, Kupferstichkabinett der Kunsthalle, Inv.-Nr. 1617 |
|
Aufschrift: |
keine |
Bildbeschreibung
Die mehrfigurige Komposition der "Anbetung der Hirten" (Abb. 14) zeigt zur Linken
die Mutter-Kind-Gruppe und ihr gegenüber die Hirten und Joseph. Der nackte Jesusknabe
sitzt aus eigener Kraft aufrecht auf dem Knie seiner Mutter, während sie ihn
mit beiden Händen umfaßt. Die Innigkeit ihrer Beziehung zueinander wird durch
das gänzliche Umfangen des Kindes und das Berühren der beiden Köpfe gezeigt.
Beide Figuren verschmelzen zu einer gemeinsamen Umrißlinie. Das Sitzmotiv der
Marienfigur ist unklar, doch scheint sie am ehesten auf der Brüstung des sich
hinter ihr öffnenden Fensters zu sitzen. Während das linke Bein angewinkelt
ist und der Fuß den Boden zu berühren scheint, ist das Rechte ausgestreckt und
der Fuß verharrt vorsichtig auf den Zehen. Auf eine Sitzhaltung deutet des weiteren
der Faltenwurf des Gewandes hin. Deutlich sind einige gebauschte Stofflagen
zu erkennen, die auf keinen bestimmbaren Untergrund aufliegen. Die barfüßige
Maria ist in ein stoffreiches, langes Gewand gekleidet, trägt einen Schleier
über ihr streng gescheiteltes Haar und blickt auf den ihr gegenüber knienden
älteren Hirten.
Der Hirte wendet sich mit einer sprechenden Geste der Hand, bei geöffnetem Mund
und empor gerichteten Blick, an Maria und das Kind. Hinter ihm stehen ein weiterer
Hirte, der deutlich jünger ist, und der ältere, bärtige Joseph, der zur Darstellung
der Heiligen Familie gehört. Alle drei blicken auf die Mutter-Kind-Gruppe. Der
jüngere Hirte trägt als Gabe für das Kind ein Lamm heran und wird noch in der
Bewegung dargestellt, wie das weit nach hinten gestreckte, linke Bein zeigt.
Die Szene findet in einem weitgehend unbestimmten Innenraum statt, mit einem
Vorhangmotiv zur Rechten und einem Fenster, das einen weiten Ausblick in die
Landschaft gewährt. Mit wenigen Strichen werden einige hochragende Häuser, Büsche,
schlanke Bäume und eine leicht hügelige Horizontlinie skizziert. Sowohl die
Architektur- als auch die Vegitationsformen erinnern an eine mediterrane, wohl
italienische Landschaft. Der Ausblick, der wie ein Bild im Bild wirkt, rahmt
zu beiden Seiten die Madonna, die auch ansonsten von den übrigen Figuren abrückt.
Diese Trennung betont die Mutter-Kind-Gruppe, die nur inhaltlich durch den anwesenden
Joseph zu einer Darstellung der hl. Familie ergänzt wird. Maria und das Kind
werden durch ihre erhöhte Position, die unüberschnittene Darstellung, den rahmenden
Ausblick in die Landschaft und die starke Isolierung gegenüber Joseph und den
beiden Hirten hervorgehoben. Die räumliche Grenze zwischen den beiden Gruppen
findet sich im folgenden auch in der Anlage der Zeichnung durch betontes Freilassen
des Papiers wieder.
Zeichentechnik
Das Blatt besitzt noch, als einziges der hier besprochenen Gruppe, seinen originalen,
unregelmäßigen Rand und scheint lediglich auf der rechten Seite begradigt worden
zu sein. Die gezeichnete Szene wird auf allen Seiten von einer Tuschelinie eingefaßt
und begrenzt den Bildausschnitt. Die Komposition füllt fast das gesamte Blatt,
so daß zu allen Seiten ein ungefähr gleich breiter, unbezeichneter Rand bleibt.
[192]
Neben der Ausführung in Tusche befindet sich auf dem Blatt eine Vorzeichnung
in Kohle. Fast alle Umrißlinien und auch Teile der Binnengliederung der Figuren
sind in einem relativ breiten Kohlestrich angelegt. Die Unterzeichnung wurde
nicht in Feder und Tusche nachgezogen, sondern ist zumeist parallel zu dieser
ablesbar geblieben. Kohlelinien und Tuschezeichnung stimmen dennoch in ihrer
jeweiligen Anlage weitgehend überein.
Die Linienführung ist verhältnismäßig schwungvoll, trotz mancher unruhiger und
kantiger Züge. Der Faltenwurf des Mariengewandes ist teilweise ins Dekorative
übersteigert, doch dient er der stärkeren Binnengliederung der Figur. Allgemein
verfügen die Figuren nur über eine mäßige Andeutung von Volumina, der die innere,
sehr flächige Struktur der Figuren entgegensteht.
Schraffen sind sowohl waagerecht, senkrecht als auch diagonal gezogen. Einzelne
sauber ausgezogene Tuschelinien verlaufen zumeist parallel nebeneinander entlang
der Konturen. Besonders fein gezeichnet sind die Schraffen zwischen den Figuren
der Mutter-Kind-Gruppe. Deutlich bleibt zwischen dieser Figurengruppe und dem
knienden Hirten ein heller Streifen frei, um die ausgestreckte Hand und das
Gesicht des Hirten besonders zu betonen. Vereinzelt kreuzen sich Schraffen oder
überschneiden die Linien der Binnengliederung einer Figur, wie es bei dem jüngeren
Hirten zu erkennen ist. Lang ausgezogene Schraffen sind vermehrt ohne erneutes
Ansetzen wellenlinig gezeichnet und erscheinen zumeist besonders kräftig und
breit. Stärkere Linien, die sich zu tiefschwarzen Flächen entwickeln, sind mehrfach
in Feder gezogen und keine Lavierungen mit dem Pinsel.
Der Federstrich ist im Vergleich zu allen anderen Blättern in diesem Exemplar
fließender und runder. Die Ausarbeitung der Figuren ist minimal und bleibt zumeist
auf die Fixierung der Konturlinien beschränkt. Auffallend ist die gelungenere
Wiedergabe der Hände. Zwar erscheint die Hand des jungen Hirten durch das Aneinanderfügen
der Finger zu breit, doch es ist auffallend, daß die Hand überhaupt vollständig
gezeichnet ist und nicht auf ein Schema reduziert wird. Dagegen ist die emporgestreckte
linke Hand des knienden älteren Hirten präzise aus wenigen Linien entwickelt.
Ebenso sauber gezeichnet ist dessen Gesicht, das sich in einer Sprechgeste,
mit dem leicht geöffneten Mund, an sein Gegenüber richtet. Die Figuren sind
in den Raum hinein gestaffelt, doch fehlt es ihnen an Tiefe, da auf einen ausgearbeiteten
räumlichen Eindruck weitgehend verzichtet wird. Die Schraffen deuten lediglich
einzelne Verschattungen an.
" Madonna mit Kind, Johannesknaben und hl.
Katharina "
|
||
Titel: |
" Madonna mit Kind, Johannesknaben und hl. Katharina " (Fassung A /Kopenhagen) [193] |
|
Vorlage: |
unbekannt [194] |
|
Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier, Unterzeichnung in Kohle |
|
Format: |
15,7 x 21,8 cm | |
Datierung: |
1657-1663 | |
Sammlung: |
Statens Museum for Kunst Kopenhagen, Den Kongelige Kobberstiksamling, Inv.-Nr. |
|
Aufschrift: |
keine |
Bildbeschreibung
Als Bildraum wird ein breiter Ausblick in die Landschaft gewährt, der die Figurengruppe
der "Madonna mit Kind, Johannesknaben und hl. Katharina" (Abb. 15) im Freien
zeigt. Weit in den Bildvordergrund gerückt erscheinen die Figuren wie auf einer
Bühne, die auf beiden Seiten von Sträuchern und Bäumen eingefaßt wird.
Maria sitzt auf einer nicht näher bestimmbaren Erhöhung und hält das Kind auf
ihrem Schoß. Mit der rechten Hand unterstützt sie den Oberkörper, während sie
mit der anderen den ausgestreckten Fuß des Kindes hält. Der nur dürftig in ein
Fell gekleidete Johannes, begleitet von einem Lamm, tritt zusammen mit der hl.
Katharina an die Mutter-Kind-Gruppe heran. Der nackte Christusknabe wirkt sehr
lebendig, indem er seine Beine und Arme streckt und nach Johannes greift, ihn
jedoch nicht erreicht. Christus und Johannes blicken einander an und der etwas
ältere Johannesknabe erwidert die ihm entgegen gebrachte Geste, indem er ebenfalls
seinen Arm ausstreckt. Johannes ist sowohl an der Fellkleidung, als auch an
dem ihn begleitenden Lamm, dem ‘Agnus Dei‘, zu erkennen.
Die zweite weibliche Figur wird in deutlicher Schrittstellung gezeigt. Sie hat
wie Johannes das rechte Bein noch weit nach hinten gesetzt und greift mit der
Hand in das lange Gewand, um sich eine größere Freiheit in der Bewegung zu verschaffen.
Allein das jugendliche Antlitz kann zur Deutung der Dargestellten beitragen.
Mit Sicherheit handelt es sich nicht um die hl. Elisabeth, die Mutter des Johannes,
da sie der ikonographischen Tradition folgend als ältere Frau gezeigt werden
müßte. Es ist wahrscheinlich, daß sie die hl. Katharina darstellt, da sie auch
in anderen Szenen mit der Madonna auftritt. Am bekanntesten ist die Darstellung
der "Mystischen Vermählung der hl. Katharina" mit dem noch als Kind gezeigten
jungen Christus.
Zeichentechnik
Die Ränder des Blattes sind auf allen Seiten begradigt und beschnitten. Deutlich
ist der Teilverlust, der den Bildausschnitt einfaßenden Tuschelinie am oberen
Rand, zu erkennen. Entlang der Federzeichnung wird an den Konturlinien und
der Binnenstruktur die Unterzeichnung sichtbar.
Die Beurteilung des Blattes wird durch starke Beschädigungen erschwert. Ein
Großteil der Linien insbesondere in der Mutter-Kind-Gruppe erscheint auszubluten,
so daß einzelne Striche unter aufgeschwemmter Tusche verschwinden. Die Konturen
verschwimmen ähnlich wie bei einer Lavierung. Der Zeichenträger zeigt gerade
in den beiden dunkelsten Partien, d. h. in den Bereichen wo mit besonders viel
Tinte gearbeitet wurde, Fehlstellen. Ihr unregelmäßiger Rand und die tiefdunkle
Verfärbung der Kanten zeigen Ähnlichkeiten zu Schäden, wie sie durch Tintenfraß
verursacht werden.[195]
Die Vermutung, daß Jürgen Ovens hier mit der gebräulichen Eisengallustinte gearbeitet
hat, liegt also nahe.
[196]
Die Anlage der Konturlinien, der Binnenzeichnung, der Andeutung von Licht und
Schatten durch eine unterschiedlich gestaltete Schraffur wird anhand des folgenden
Blattes beschrieben, das ungleich besser erhalten ist und in seiner technischen
Auführung auffallend übereinstimmt.
" Madonna mit Kind, Johannesknaben und hl. Katharina
"
|
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Titel: |
" Madonna mit Kind, Johannesknaben und hl. Katharina " (Fassung B /Bremen) [197] |
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Vorlage: |
unbekannt [198] |
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Technik: |
Federzeichnung in brauner Tusche auf Papier, Unterzeichnung in Kohle |
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Format: |
19,1 x 23,4 cm | |
Datierung: |
1657-1663 | |
Sammlung: |
Kunstverein Bremen, Kupferstichkabinett der Kunsthalle, Inv.-Nr. 2059 |
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Aufschrift: |
keine |
Bildbeschreibung
Die Darstellung der "Madonna mit Kind, Johannesknaben und hl. Katharina" existiert
in zwei Fassungen (Abb. 15 /16), die sich weitgehend entsprechen. Der Vergleich
zwischen beiden Blättern läßt nur eine leicht varierte Kopfhaltung der Maria
und eine unterschiedlich starke Gestaltung des Hintergrundes erkennen.
Zeichentechnik
Das Blatt (Abb. 16) zeigt zur Linken noch den ursprünglichen, unregelmäßigen
Rand, der auf den übrigen Seiten wohl durch eine minimale Beschneidung begradigt
wurde. Die Darstellung ist durch eine in Feder gezogene Begrenzung eingefaßt,
die den Bildausschnitt bestimmt. Um den gezeichneten Rand herum bleibt ein gleichmäßiger
Streifen Papier frei. Einzelne Federstriche gehen über den gezogenen Rand hinaus,
wie es das Gewand der hl. Katharina links und die Schraffen der Landschaft im
Hintergrund zeigen. Dabei wurde die einfassende Linie wahrscheinlich über die
Federzeichnung hinweg gezogen.
Eine Unterzeichnung in Kohle ist deutlich angelegt und längs der Konturen der
Figurengruppe und des Baumes im Hintergrund zu erkennen. Der breite Kohlestrich
ist schnell und präzise auf das Papier gesetzt. Die später aufgebrachte Tusche
erreicht keine Deckung mit der Unterzeichnung, die demzufolge auch keinesfalls
nachgezogen wurde. Vielmehr folgt die Federzeichnung den Kohlestrichen nur in
der groben Anlage. Die Linien der Kohle- und Tuschezeichnung stehen oftmals
parallel nebeneinander. Spuren des Kohlestrichs finden sich beispielsweise entlang
der in Feder gezogenen Rückenlinie und des Bauches der Christusfigur und im
Gewand der hl. Katharina.
Die Zeichnung ist relativ feinlinig und sauber ausgeführt, der Federstrich gleichmäßig
in seiner Stärke. Einzelne in gleiche Richtung geführte Schraffen, ebenso wie
sich kreuzende, strukturieren die Gewänder, u. a. entlang der Binnengliederung
der Ärmel. Einige parallele Schraffen überschneiden die Kontur des Johannes
und den Saum des Mariengewandes. Des weiteren finden sich wellenlinig Gezogene
im Gewand der hl. Katharina und in den niedrigen Bäumen des Landschaftshintergrundes
zur Linken. Verdickungen des Tuschestrichs gehen auf ein kraftvolleres Ansetzen
der Feder und das mehrfache Überfahren der gleichen Linie zurück.
Auffallend sind die feingliedrig gezeichneten Hände der Figuren, die aus den
anderen Darstellungen dieser Gruppe herausragen und nur mit dem vorhergehenden
Blatt ("Anbetung der Hirten") zu vergleichen sind. Dennoch zeigen sie als typisches
Stilmerkmal die eckig angelegten Finger, die zumeist streng nebeneinander liegend
auf ein Handschema reduziert sind. Die Sicherheit des Federstrichs zeigt sich
in den Linien der Kontur u. a. in den Gesichtern der hl. Katharina und des Johannes.
Der Körper des Johannes wirkt jedoch zugleich durch eine stark betonte Binnenzeichnung
zergliedert. Die unterschiedliche Linienstärke betont die Lebendigkeit der Figuren,
die dem Bewegungsmotiv zu Gute kommt. Die Konturen werden durch unbearbeitete
Flächen zwischen den Figuren und eine zurückhaltende Binnenzeichnung betont.
Vergleich zwischen den beiden Fassungen
Die Ausarbeitung der Fassung in Kopenhagen ist dynamischer, die Linienführung
ist insgesamt sehr schwungvoll und vermittelt einen lebendigen Eindruck. Demgegemüber
wirkt der Federstrich auf dem Blatt in Bremen zurückhaltend prononciert und
präziser gesetzt, jedoch zugleich auch steifer. Die zweifache Ausführung dieses
Blattes stellt innerhalb der behandelten Gruppe ein Unikum dar und ist meines
Erachtens auch im Vergleich zu den Werkgruppen anderer Künstler ungewöhnlich.
Soweit ersichtlich, ist an der Autorschaft beider Blätter durch Jürgen Ovens
nicht zu zweifeln. Beide stimmen in der technischen Ausführung darin überein,
daß die Federzeichnung über eine bestehende Unterzeichnung in Kohle gearbeitet
wurde. Somit fällt das Kriterium, die beiden Blätter anhand der Vorzeichnungen
in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen, aus. Jedoch deutet die technische
Anlage der Tuschelinien, nach der obigen Beschreibung darauf hin, daß die Fassung
in Bremen nach der Variante in Kopenhagen entstanden ist. Unterstützt wird diese
These durch die ungewöhnlich exakt gezogene Einfassung des Bildausschnittes,
die zusammen mit der spröden Behandlung der Zeichnung für eine sehr routinierte
Wiederholung sprechen.