5. Gemäldekopien als Teil der Kunstsammlungen des 17. Jahrhunderts


5.1. Die Sammlungen des Peter Paul Rubens und Anton van Dycks

Seit dem Jan Denucé (1930) sein Standardwerk zu den Inventaren der Kunstsammlungen zu Antwerpen des 16. und 17. Jahrhunderts vorgelegt hat, ist ein umfangreiches Material verfügbar geworden.[199] Im folgenden werden die Sammlungen von Peter Paul Rubens und Anton van Dyck herangezogen, da zu diesen bereits Einzeluntersuchungen vorliegen und sie als herausragende Beispiele für ein weit verbreitetes Phänomen gelten können.[200]
Jeffrey Muller (1948)
[201] stellt Peter Paul Rubens in der Rolle des Sammlers vor, der neben den Gemälden auch Antiken, Gemmen und Münzen zusammentrug. Die Tiziankopien von Peter Paul Rubens sind Gegenstand einer von Traude Kannengießer (1990)[202] verfaßten Dissertation, die ausgewählte Bilder religiösen und mythologischen Inhalts vergleicht. Es gebe demnach Gemälde, die als vorbildliche Kunstwerke wargenommen werden und anderen Künstlern den Anreiz bieten, sich mit ihnen länger auseinanderzusetzen. Eines der von ihr vorgestellten Hauptwerke einer Rubenskopie nach Tizian, der "Raub der Europa" wurde später Gegenstand einer monographischen Ausstellung in Boston (1998), die sich den Rubenskopien widmete.[203]
Zu der Sammlung Anton van Dycks veröffentlicht Jenny Müller-Rostock (1922) ein Bilderverzeichnis, zwischen 1630-1640 entstanden, das die Werke Tizians, Tintorettos, Bassanos und einiger anderer im Besitz des Künstlers benennt.
[204]  Die Arbeiten Tizians nehmen mit 19 Originalen und 4 Kopien den umfangreichsten Teil ein. Der Verfasser des Verzeichnisses hat diese getrennt von einander aufgeführt und in der Überschrift zu den Kopien vermerkt, daß sie von der Hand Anton van Dycks stammen würden ("di mano dell Cavallre van Dyck"). Die Autorin versucht die genannten Werke anhand eines Vergleichs mit dem erhaltenen Oeuvre zu identifizieren, und bedient sich z. T. auch der Aufzeichnungen im "Italienischen Skizzenbuch" .[205] Des weiteren finden sich zwei wichtige Bemerkungen zum Gesamtcharakter der Sammlung, in denen die Autorin darauf verweist, daß Anton van Dyck auch Bilder seiner Sammlung wieder verkauft habe und daß sich in ihr hauptsächlich Bildnisse befunden hätten, die für den Portraitisten von besonderem Interesse gewesen seien. Andererseits ist nichts über die Bedeutung der Kopien zu erfahren, obwohl sie auf Anton van Dyck selbst zurückgehen, noch wie es zu erklären ist, daß im Skizzenbuch Zeichnungen existieren, die nach Originale entstanden seien, die Anton van Dyck selbst besessen habe.[206]
Jeremy Wood (1990) versucht, vom selben Verzeichnis ausgehend, ebenfalls die genannten Gemälde zu identifizieren und deren Provenienz zu klären.
[207] Darüberhinaus unterstreicht der Autor zum einen den Vorbildcharakter, den die Gemälde Tizians für dessen eigene Arbeiten gehabt hätten. Dabei geht der Autor gleichermaßen auf die Gemälde von Tizian, Zeichnungen nach diesen, im "Italienischen Skizzenbuch" und auf druckgraphische Reproduktionen ein. Zum anderen äußert sich Jeremy Wood mittelbar in seiner Hauptthese zu der Bedeutung der Gemäldekopien, in der er die Sammlung des Künstlers, weniger als Ausdruck des Interesses an vorbildhaften Bildfindungen, die dem Künstler für eigene Arbeiten diene, sondern als "idealtypische" Sammlung versteht.[208] "Van Dyck‘s collection was not, however, formed only as a stimulus to his own work, ... . The copies which both Rubens and Van Dyck made after Titian have less to do with study in the modern sense, or even emulation, than with the creation of an ideal picture gallery, ... ." [209]

Jeremy Wood beschreibt die Kopien als sinnvolle Ergänzung einer Sammlung , wenn die Originale nicht zu erhalten gewesen seien. Ein Vergleich zwischen beiden Sammlungen zeige, daß Anton van Dyck fast auschließlich Bildnisse, vor allem italienischer Künstler, besessen habe, während Peter Paul Rubens auch Werke mythologischen und religiösen Inhalts verschiedener Malerschulen gesammelt habe. Der Autor erklärt das Zuständekommen dieser Sammlungen und versucht eine Akzentverschiebung weg von einer Sammlung der musterhaften Vorbilder hin zu einer mustergültigen Sammlung. Meines Erachtens gelingt ihm dies jedoch nicht gänzlich, da es offenbleibt, die unterschiedlichen Sammlungsprofile zwischen Rubens und Van Dyck zu erklären, wenn sie nicht auch mit den eigenen künstlerischen Interessen verbunden werden.


5.2. Das Nachlaßinventar von Maria und Jürgen Ovens von 1691

Nachdem Jürgen Ovens 1678 in Friedrichstadt verstorben war, siedelte seine Witwe mit dem gesamten Hausstand nach Tönning über, wo sie 1690 verstarb. Aus Anlaß ihres Todes wurde ein Nachlaßinventar erstellt, das 1691 der Erbschaftsteilung zwischen den Nachkommen zugrundegelegt wurde.
[210]
Die Bedeutung des Inventares liegt darin begründet, daß es einen fast vollständigen Einblick in den Besitz der Familie Ovens vermittelt. Da zwischen dem Ableben des Künstlers und der Aufstellung des Inventares ein Zeitraum von über zwölf Jahren liegt, ist mit einigen Abgängen aus der Zeit nach 1678 zu rechnen. Wenn auch nicht im einzelnen, so sind sie jedoch in ihrem Umfang zu rekonstruieren. Wesentlich sind in diesem Zusammenhang die Feststellungen Harry Schmidts, der den Verlust ungefähr eines Achtels der Gemäldesammlung benennt.
[211] Darüber hinaus mutmaßt er, daß sowohl Mal-Utensilien, als auch kunsttheoretische Bücher aus der Bibliothek des Jürgen Ovens, sofern es sie den gegeben habe, in den Besitz des Sohnes Friedrich Adolph Ovens übergegangen seien.[212] Der Bestand der Gemäldesammlung, der 1691 noch existierte, ist auffallend umfangreich und wohl nur mit den Inventaren holländischer oder flämischer Künstler des 17. Jahrhunderts zu vergleichen.[213] Nach Harry Schmidt "... verzeichnet das Inventar nicht nur eine grosse Menge sonst nicht bezeugter Ovens‘scher Werke, sondern auch zahlreiche der Mehrzahl nach verschollene Gemälde holländischer, vlämischer und italienischer Künstler" .[214] Insgesamt werden 154 Gemälde und Skizzen im Inventar genannt, von denen 88 Titel als Originale und 66 weitere als Kopien bezeichnet werden.[215] Die Originale umfassen Arbeiten von Jürgen Ovens (53 Nrn.), von anderen namentlich genannten Künstlern (25 Nrn.) und von Anonymen (10 Nrn.).[216] Unter den Originalen von Jürgen Ovens sind vier Einträge hervorzuheben. Der Verfasser des Inventares vermerkt, daß es sich um Arbeiten nach Vorlagen von Palma il Vecchio /il Giovane (?)[217] und Parmigianino handelt.

"Ein Original von H. OVENS worauff Maria mit dem Christkindgin
(T. A.: nach PALMA)
[218] ..." [219]

"Ein Maria und Schlaffendes Christbildgin (T. A.: Christkind)
nach der Parmesanino mit dem Rahmen ..."
[220]

Des weiteren werden von ihm zwei Werke genannt, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Kopien nach Sebastiano del Piombo und Giovanni Benedetto Castiglione zu identifizieren sind.

"Ein Original von H. OVENS worauff Maria Mit dem Christkindgin
mit einem schönen Rahmen, soll in der Kirch VerEhret werden ..."
[221]

Das unter der Inventar-Nr. 5 aufgeführte Gemälde, eine Darstellung der Maria mit Kind, "... soll in der Kirch VerEhret werden ...". Dieser Vermerk belegt eindeutig, daß es sich um die "Heilige Familie mit Johannes und der hl. Elisabeth" nach Sebastiano del Piombo handelt, welche die Ovens‘schen Kinder  zum Andenken an ihre Eltern der St. Laurentiuskirche in Tönning stifteten.[222]

"Opferung Priapi (T. A.: Original) von H. OVENS ..." [223]

"Die Opferung Priapi nach JEAN BENEDITTO CASTIGLIONE ..."
[224]

Zu dem ungewöhnlichen Thema, einer "Opferung Priapi" ,[225] finden sich sowohl unter den Originalen eine Fassung von Jürgen Ovens (Inv.-Nr. 82) als auch eine Weitere unter den Kopien nach "Jean Beneditto Castiglione" (Inv.-Nr. 19). Da es für Jürgen Ovens eine vertraute Praxis war, sich künstlerische Ideen durch das Kopieren anzueignen, ist es denkbar und bei diesem ungewöhnlichen Thema auch wahrscheinlich, daß seine eigene Fassung nach der Kopie entstanden ist.
Die in der Sammlung befindlichen Kopien (66 Nrn.) sind laut den Angaben des Schreibers entweder nach den Werken von Jürgen Ovens (15 Nrn.) oder nach anderen Künstlern (51 Nrn.), von denen ein Teil namentlich überliefert wird (22 Nrn.), entstanden.
[226] Der Vergleich zwischen den Sammlungsteilen zeigt, das jeweils ein Gemälde von Jakob Jordaens, Philipp Wouwermann und Parmigianino als Original und in einer Kopie vorhanden waren. Zu dieser Gruppe gehört letztlich auch die bereits erwähnte Kopie nach G. B. Castiglione, die Jürgen Ovens selbst als Vorbild für eine eigenhändige Wiederholung diente.

"Der Verrath Christi Gantz Grosz mit vielen Bildern von JAQUES JORDANS ..." [227]

"Eine Copia Vom Verrath Christi nach (T. A.: JAQUES JORDAENS ..." [228]


"Ein Original van Ph. WAUERMANN (T.A.: WOUERMANN)
worauff eine Dame zu Pferde ..."
[229]

"Eine Königinn zu pferde nach Ph. WAUERMANN mit dem Rahmen ..." [230]


"Ein Original Von Parmesanino worauff die stürmende Cupidines
mit einem Vergüldeten Rahmen ..."
[231]

"Die Stürmende Cupidines nach PARMESANINO ..." [232]

In Anlehnung an die Kopien nach Sebastiano del Piombo und G. B. Castiglione, die eindeutig als eigenhändige Werke von Jürgen Ovens zu identifizieren sind, ist es sehr wahrscheinlich, daß der Künstler selbst der Urheber dieser Wiederholungen war. Meines Erachtens belegen diese Kopien das besondere Interesse des Künstlers an bestimmten Vorbildern und die für Jürgen Ovens typische Herangehensweise, sich die Werke durch den Prozeß des ‘kreativen Kopierens‘ zu erschließen.
Die Kunstsammlung des Jürgen Ovens ist jedoch nicht allein Ausdruck seiner eigenen künstlerischen Interessen und Vorlieben sondern zugleich Handelsgut, Wertanlage und Ausdruck einer repräsentativen Haltung. Sie ist weder insich geschlossen noch "privat" oder als die eines Kunstliebhabers zu betrachtet. Der Künstler war gleichzeitig Händler und wird bestimmte Werke allein zu dem Zweck des Wiederverkauf erworben haben. Darüber hinaus diente die Sammlung auch zu repräsentativen Zwecken, wie es bereits Arnould Houbraken berichtet. So sei der Maler Johannes Voorhout als er Jürgen Ovens in Friedrichstadt besucht habe, durch dessen Bildersammlung geführt worden.
[233]

"..., die hem (Jürgen Ovens) gevolglyk in zyn huis bragt daar hy hem een groote zaal met Konst van de geagtste Meesters, waar mede hy aan de Hoven handel dreef, ... ." [234]

Das Nachlaßinventar überliefert 23 verschiedene Künstlernamen, denen insgesamt 45 Werke[235] zugeordnet werden. Die Maler der holländischen und fämischen Schule (33 Nrn.)[236] nehmen, gefolgt von den italienischen Künstlern (9 Nrn.)[237] und wenigen anderen (3 Nrn.)[238], den breitesten Raum ein.[239]

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